Entspannt ins Ziel – Streckenbilanz (Tag 15)

Starten. Bremsen. Stoppen. Starten. Ausweichen. Angehupt werden. Innerlich Fluchen. Bremsen. Zeit verschwenden:
Normalerweise sind Städtefahrten der Horror – nicht nur für Beine und Bremsbeläge, sondern auch für mein eigenes Wohlbefinden. Dass ich mich heute, als ich nach 75 Kilometern Lyon erreichte, allerdings erstmals grundlegend anders fühlte, das hat vermutlich mehrere Gründe:

Denn, erstens, habe ich heute Abend, nach 15 Fahrtagen, mein Endziel erreicht!

Zweitens fühlte ich mich im Stadtverkehr noch recht frisch, weil die Etappe nur rund dreieinhalb Stunden gedauert hatte!

Drittens war der allerletzte Fahrtag dank Rückenwind und strahlend blauem Himmel ausgesprochen angenehm!

Viertens führte mich mein Weg durch das so genannte „Land der tausend Seen“, in dem Wasservögel mich beäugten – und ‚vice versa‘!

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Sonne, blauer Himmel, Wind: Was will man(n) mehr?!

Fünftens habe ich heute am Mittag eine regelrechte Abschlussparty gefeiert, als ich einen Teil meines Geldes bei Aldi auf den Kopf haute und mich mit Milch, Brötchen und Käse eindeckte!

Und, sechstens, ist Lyon eine Fahrradstadt. So fuhr ich zum Großteil auf parallel zur Autobahn verlaufenden, aber autolosen Radwegen (was im Umkehrschluss aber, das möchte ich klarstellen, keinesfalls bedeutet, dass ich zum Kleinteil auf den Autobahnen selbst fuhr)!

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In Südniedersachsen beginnend, habe ich nach gut zwei Wochen den nördlichen Teil Lyons erreicht. Über Göttingen und Kassel gestartet, folgte ich ab Marburg zunächst der Isar. In Koblenz wechselte ich sodann auf die Mosel über und folgte ihr nach Trier, bevor ich einen Boxenstop in Luxemburg einlegte. Durch Metz und Nancy entlang der Meurthe radelnd, orientierte ich mich schließlich am Canal de L’est, und anschließen an der Saone. Gemeinsam erreichten die Saone und ich mit Lyon – denn die sie selbst mündet dort in die Rhone – unser ultimatives Ziel.

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Während ich in Deutschland fast ausschließlich gezeltet habe, waren im Ausland Hosts der Plattform ‚warmshowers‘ das Mittel der Wahl. Und das hatte seine Ursache vor allem im Wetter – und Wetterbericht. Denn zunächst wurde ich vom Schneeregen und Schnee heimgesucht. Und als das Wetter dann, wider Erwarten, zum positiven umschlug, hatte ich bereits Gastgeber kontaktiert, die mir zusagten. Und diese Begegnungen mit anderen Radsport-Liebhabern, die wollte ich nur ungern wieder abblasen. Zumal mich die Hosts stets mit sinnvollen Streckentipps für den bevorstehenden Abschnitt versorgt haben.
Das war umso wertvoller, als mein Plan, auf der Straße anderen Radfahrern zu begegnen, um diese nach dem optimalen Weg zu fragen, gründlich in die Hose gegangen ist: Die Pedaleure, die ich unterwegs traf, lassen sich an drei Händen abzählen!

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Dass ich mich in Lyon rundum wohl fühlte, das hatte aber – um den Bogen zum Beginn zurückzuschlagen – noch einige weitere Gründe:
Ich traf nämlich, sechstens, gegen Abend bei einem guten Kumpel ein, der in Lyon studiert – und bekam damit erstmals seit zwei Wochen ein bekanntes Gesicht zu Gesicht!
Wobei der Moment eines solchen Gegenübertretens mich unerklärlicherweise (schließlich war es bereits in den USA ähnlich gewesen, als ich nach drei Monaten meinen Kumpel in San Framcidco begrüßen durfte) immer herzlich lachen lässt.

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Ferner kam ich in Lyon, siebtens, in den Genuss eines tollen nächtlichen Stadtpanoramas. Dieses erblickten wir von einem Hügel aus, welchen wir erklommen hatten – und so hatte ich kurz vor dem Einschlafen noch Bilder für meine Träume getankt!

Und einschlafen, das konnte ich, achtens, zudem in der Gewissheit, dass sich auf meiner Reise – ganz und gar meiner Hoffnung und meinem Credo entsprechend – tatsächlich immer etwas ergeben hat…

Die Memo des Tages: Du bist ein Gott! Nein, kein Gott des Radfahrens oder Radreisens – sondern ein Gott der Verpeiltheit: Seit (wie?) vielen Tagen fristet dein hinteres Schutzblech jetzt schon an deinen Packtaschen ein kümmerliches Dasein, weil Du einfach zu faul/ungeschickt/verpeilt/vergesslich bist, dir irgendwo passende Schraube und Mutter zu organisieren (und damit jene zu ersetzen, die während des Trips augenscheinlich abgefallen sein muss).
Da ich ein selbstironischer Mensch bin, komme ich nicht an der Erkenntnis vorbei, dass ich in Bezug auf die Schutzblech-Thematik kritisch betrachtet im doppelten Sinne eine Schraube locker habe…

Der Dank des Tages gebührt: Einer Bibliothek für warme Mittagsstunden; dem Routentipp, das ‚Land der tausend Seen‘ zu durchqueren; der Globalisierung (oder was auch immer sonst dafür verantwortlich sein mag) für ‚Aldi in Frankreich‘; einem (zumindestens in puncto Gastfreundlichkeit…) absolut mustergültigen Studenten in Lyon; meiner Motivation, trotz langer Tour noch auf den Aussichtsberg zu radeln.

Der Vierzeiler des Tages:
Mysteriöse Franzosen: Moselle,
so nennen sie den Fluss Mosel;
zudem essen sie Froschschenkel;
oder vermutlich eher: ‚Froschschenkelle‘.

Wenn ich heute Geld gehabt hätte, hätte ich mir folgendes gekauft: Die Schraube natürlich – was sonst? siehe Memo des Tages…)

Tourdaten:
Start: Replonges
Ziel: Lyon
Kilometer: 75

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